Die Lage im Libanon ist schon länger komplex und von geopolitischen Interessenskonflikten beeinflusst. In den vergangenen Jahrzehnten hat das Land mehrere gewaltsame Konflikte erlebt, darunter einen Bürgerkrieg und die israelische und syrische Besatzung. Konflikte in anderen Ländern, etwa der Völkermord in Armeien im Jahr 1915, die Vertreibung der Palstiner:innen nach der Gründung Israels im Jahr 1948 oder aus Syrien infolge des Bürgerkrieges im Jahr 2011. Heute ist der Libanon weltweit das Land, das die höchste Anzahl Geflüchtete pro Kopf und Quadratkilometer beherbergt. Darüber hinaus gibt es wegen der jüngsten Eskalation der Feindseligkeiten im Süden des Landes inzwischen mehr als 90 000 Binnenvertriebene. Die Migration verstärkt die ethnische und religiöse Heterogenität des Landes: Muslimische, christliche und drusische Glaubensgemeinschaften sind in mehrere Sekten und Konfessionen gespalten.
Trotz der Auswirkungen des seit 2011 anhaltenden syrischen Bürgerkrieges schien der Libanon noch längere Zeit einigermassen stabil. Das änderte sich jedoch abrupt, als ab 2019 mehrere Krisen das Land an den Rand des Zusammenbruchs brachten. Der Regierung gelangen weder politische noch wirtschaftliche Reformen, in der Folge gingen die ausländischen Investitionen zurück. Das Land erlebte aufgrund von finanzieller Misswirtschaft eine wirtschaftliche Stagnation und zunehmende Arbeitslosigkeit, was zu Protesten führte und die Regierung unter Druck setzte. Die Covid-Pandemie destabilisierte das Land zusätzlich. Die verheerende Explosion von unsachgemäss gelagertem Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut im August 2020 verwüstete grosse Teile der Stadt. Dieser Unfall hatte für die betroffenen Haushalte nicht nur Tod und Leid zur Folge, sondern verschärfte zudem die politische und wirtschaftliche Krise im Land.
All diese Faktoren sowie die Inflation und schwindende Erwerbsmöglichkeiten lassen die Gesellschaft äusserst schnell in die Armut abrutschen. Das Brutto-Inlandprodukt von 7500 US-Dollar pro Kopf im Jahr 2019 ist auf 2700 US-Dollar im Jahr 2021 gesunken. Gleichzeitig ist der Anteil armutsbetroffener Familien von 42 auf 82 Prozent gestiegen, wobei 40 Prozent aller Familien in extremer Armut leben.
Seit dem Ausbruch des Gaza-Krieges im Oktober 2023 haben sich die Hisbollah und die israelische Armee immer wieder Gefechte in einem Ausmass und einer Intensität geliefert, wie sie seit den Feindseligkeiten von 2006 nicht mehr zu beobachten waren. Der schwere Raketenbeschuss von Israel durch die Hisbollah und die verstärkten israelischen Luftangriffe auf den Südlibanon und das Bekaa-Tal haben eine hohe Zahl von Opfern insbesondere unter der Zivilbevölkerung gefordert. Der Konflikt hat die Not vieler gefährdeter Haushalte noch verschlimmert.