AltuM Tandem
Nathalie Taiana
Soziale Integration

Unterstützung im neuen Land

Unterstützung im neuen Land

Wenn ältere Menschen aus ihrer Heimat in die Schweiz flüchten müssen, haben sie es besonders schwer, sich bei uns zurechtzufinden. Mit dem Pilotprojekt «HEKS AltuM-Tandem» nimmt sich HEKS den Problemen dieser Menschen an, indem es ihnen Begleitpersonen zur Seite stellt.

Artikel aus dem Magazin «handeln» vom August 2021
 
Text Bettina Filacanavo
Fotos Nathalie Taiana
 
Halima Mosch klingelt an der Tür einer Wohnsiedlung in Zürich Schwamendingen. In der Hand hält sie einen Teller mit selbstgebackener Baklava. Sie besucht heute ein Ehepaar aus Syrien. Ahmad Allo (61 Jahre) und Fatima Mohammed (52 Jahre) wurden vor rund acht Jahren aus ihrer Heimatstadt Aleppo in Syrien vertrieben. Der Krieg hatte alles zerstört. Nach einer Flucht-Odysee und einem längeren Aufenthalt in der Türkei kamen sie vor drei Jahren als Asylsuchende in die Schweiz. Halima, die ebenfalls Arabisch spricht, begleitet die beiden seit rund zwei Jahren und hilft ihnen, sich in der neuen Kultur zurechtzufinden.
 

Ein Pilotprojekt in Zürich

Halima ist 38 Jahre alt. Sie ist gebürtige Marokkanerin und lebt seit 18 Jahren mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Schweiz. Über eine Bekannte erfuhr sie von «HEKS AltuM-Tandem» und wusste sofort, dass sie sich in diesem Projekt engagieren wollte. Als Freiwillige begleitet sie geflüchtete ältere Menschen, die hier in der Schweiz leben. «HEKS AltuM-Tandem» ist ein Teilprojekt von «HEKS AltuM» (Alter und Migration) der Regional- stelle Zürich/Schaffhausen. Es ist ein Pilotprojekt, das in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (HSA FHNW) konzipiert und im September 2019 lanciert wurde. Ziel ist es, neu zugezogene Geflüchtete im Alter von 50+ bei ihrem Neuanfang in der Schweiz zu begleiten und ihre Integration in die Gesellschaft sowie in ihr Wohnumfeld zu unterstützen. Älteren geflüchteten Menschen stehen nämlich in der Regel weder Bildungsoptionen noch Arbeitsintegration offen, um Zugang zu unserer Gesellschaft zu erhalten und am sozialen Leben teilnehmen zu können. Weil die gemeinsame Sprache sehr wichtig ist, sprechen die Freiwilligen die Sprache der Geflüchteten.

Halima hat in ihrer Heimat ursprünglich Sozialpsychologie studiert und arbeitet heute an ihrem Wohnort in Zürich Stettbach und Umgebung in verschiedenen sozialen Projekten mit. Achmad und Fatima begleitet sie in ihrer Freizeit, und das sehr gerne: «Da meine Kinder jetzt schon im Teenageralter sind, habe ich etwas mehr Freizeit und diese möchte ich sinnvoll nutzen», sagt sie auf die Frage nach ihrer Motivation.
 


 

Hilfe bei allem

Wir sind bei Ahmad und Fatima im Wohnzimmer. Der Fernseher läuft lautlos, aber die Maschinen auf der grossen Baustelle neben ihrem Wohnhaus laufen auf Hochtouren und sind laut. Ahmad schliesst das Fenster und Halima übersetzt das Gespräch. Die drei kennen sich bereits gut, denn Halima besucht Ahmad und Fatima regelmässig. Auf die Frage, in welchen Bereichen Halima sie denn unterstützen könne, lachen die beiden und Ahmad sagt: «Bei allem, Halima hilft uns bei allem! Sie hilft uns mit den Rechnungen oder erklärt uns die Abrechnung der Krankenkasse, sie begleitet uns zum Arzt oder zu den Behörden und sie hilft mir bei meinen Hausaufgaben aus dem Deutschkurs.» Ahmad holt einen schwarzen Ordner, ein einfaches Ablagesystem, das er mit Halima angelegt hat. «Wir haben diesen Ordner, wo wir die Rechnungen oder die Post ablegen, und wenn Halima uns besucht, schauen wir zusammen, worum es sich handelt, wenn wir etwas nicht verstehen», erklärt er.
 

Knappe finanzielle Mittel

Eine Vorstudie zum Pilotprojekt «HEKS AltuM-Tandem» hat ergeben, dass ältere Geflüchtete häufig in äusserst prekären finanziellen Verhältnissen leben. Das hat nicht nur einen Einfluss auf ihre Wohnsituation, sondern auch auf die Pflege von sozialen Kontakten. Die Betroffenen können sich kein Bahnticket leisten und sind von vielen sozialen Aktivitäten ausgeschlossen, weil ihnen das Geld fehlt, um in ein Café zu gehen, Bücher zu kaufen oder ein Sport-Abonnement zu lösen. Vor diesem Hintergrund ist es besonders wichtig, dass älteren Geflüchtete Angebote wie Konversationsmöglichkeiten auf Deutsch für ältere Personen, günstige Einkaufsmöglichkeiten bzw. kulturelle Angebote (Bücher-Brocki, Bibliotheken), aber auch günstige Sportangebote (Yoga- und Schwimmkurse) im näheren Umfeld kennen, damit die Mobilitätskosten für sie möglichst niedrig bleiben. Mangelnde Deutschkenntnisse führen auch dazu, dass Informationen und Briefe von Behörden und offiziellen Stellen bzw. ÄrztInnen gar nicht oder nur partiell verstanden bzw. missverstanden werden. Dies wiederum kann gesundheitliche oder finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen, zum Beispiel wenn Kündigungsfristen nicht eingehalten werden oder die Ge- flüchteten davon ausgehen, dass die Krankenkasse Kosten übernimmt, die nicht über die Grundversicherung abgedeckt sind.

 
HEKS-Projekt Alter und Migration
HEKS AltuM-Tandem Zürich
Eine Bereicherung für beide Seiten

Im Angebot «AltuM-Tandem» bringt das Programm Geflüchtete (ab 50 Jahren) und freiwillige Begleitpersonen als Tandems zusammen. Freiwillige mit einer Migrations- oder Fluchtbiographie besuchen regelmässig eine geflüchtete Person zuhause oder in ihrem Wohnumfeld, unterstützen sie bei Alltags- und Integrationsfragen, ermöglichen ihr das Zurechtfinden und die Vernetzung im Quartier.

Wenig soziale Kontakte

Weil das Ehepaar sonst nicht oft andere Leute trifft, ist Halima auch eine wichtige Kontaktperson für Ahmad und Fatima. Vor allem Fatima verlässt die Wohnung selten. Und mit der Pandemie wurde ihre soziale Isolation noch stärker spürbar.

Mittlerweilen sind die beiden Frauen gut befreundet und unternehmen manchmal etwas zusammen. Heute zum Beispiel wird Halima Fatima mit dem Auto noch zum Arzt fahren, weil es Fatima seit ein paar Tagen nicht gut geht. Sie ist Diabetikerin und gesundheitlich angeschlagen. Dass noch eine Tochter mit ihren Kindern in Aleppo lebt und nicht zu ihnen in die Schweiz einreisen kann, beschäftigt sie sehr. Es gebe keine Möglichkeit, sie in die Schweiz zu holen, sagt Fatima traurig. Sie hätten es schon vergeblich versucht.

Ihre anderen Kinder sind in Sicherheit: Zwei Söhne leben in Zürich und die zweite Tochter in Norwegen. Mit ihren Söhnen, 22 und 30 Jahre alt, pflegen Fatima und Ahmad regelmässig Kontakt. Lange Zeit waren sie von ihren getrennt gewesen, und als sie ebenfalls in die Schweiz einreisen konnten, erfüllte sich ihr grösster Wunsch, wieder als Familie in Sicherheit vereint zu sein. Der ältere Sohn hat bereits eine eigene Familie, und so können Ahmad und Fatima auch ihre Enkelkinder sehen. Ein grosses Wiedersehen gab es auch mit der Tochter aus Norwegen: Sie konnte letztes Jahr nach sieben langen Jahren der Trennung ihre Eltern in Zürich besuchen. Während unseres Gesprächs klingelt das Telefon: Die Tochter aus Aleppo ruft an und erscheint auf Fatimas Handy-Bildschirm. Die Mutter geht ins Zimmer nebenan, um ungestört mit der Tochter reden zu können.

Eine Beschäftigung wäre wichtig 

Ahmad zeigt uns indes die Kursunterlagen seines Deutschkurses. Er hat schon einige Lehrbücher durchgearbeitet. Der Kurs mache ihm Spass, auch wenn die deutsche Sprache nicht einfach sei. «Ich kann bereits gut lesen und verstehe einiges, aber ich kann noch nicht besonders gut sprechen, weil ich nicht oft Gelegenheit habe, das Gelernte anzuwenden», meint er. Halima hilft ihm aber regelmässig bei den Hausaufgaben und dann spricht sie mit ihm Deutsch. Weil er nicht so viele soziale Kontakte hat, würde der gelernte Schneider, der in Aleppo ein eigenes Modegeschäft besass, gerne wieder arbeiten. Wegen seines Alters ist es aber sehr schwierig, eine Arbeitsstelle zu finden. Eine Arbeit oder wenigstens eine Beschäftigung würde ihn sehr glücklich machen. Vielleicht ergebe sich aber bald etwas in einem Nähatelier in einem Gemeinschaftszentrum, erzählt er. So hätte er auch mehr soziale Kontakte und könnte regelmässiger unsere Sprache sprechen. Während seine Frau nicht gerne und nur selten aus dem Haus geht, hat er das Fahrrad für sich entdeckt – ein günstiges und dazu gesundes Fortbewegungsmittel.

Und was werden Halima, Ahmad und Fatima als Nächstes unternehmen? Halima hat bereits einen Plan: «Ich werde ihnen bei meinem nächsten Besuch das Gemeinschaftszentrum Hirzenbach hier im Quartier zeigen, wo sie in einem sozial lebendigen und multikulturellen Rahmen günstig einen Kaffee trinken können. Da sie vorher in Zürich Wiedikon gewohnt haben, kennen sie sich hier im neuen Quartier noch nicht so gut aus. Das wollen wir nun ändern.»
 

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