«Unser oberstes Ziel bleibt die Respektierung der Landrechte»

Ein Anfang Mai publizierter Bericht von HEKS und vier lokalen NGOs hat bei einem CO2-Kompensationsprojekt in Sierra Leone gravierende Verstösse gegen die Landrechte der betroffenen Gemeinschaften aufgedeckt. Lansana Hassan Sowa, Programmleiter des «Sierra Leone Network for the Right to Food» (Silnorf), beleuchtet die Hintergründe der Recherche und deren Folgen: Das Rechercheteam erhielt Drohungen; inzwischen musste die Firma der Investoren zugeben, dass sie nicht über die nötigen Dokumente für die Landnutzung verfügt. 

Interview: Silva Lieberherr, HEKS-Fachperson für das Recht auf Land
 

Lansana Sowa, Anfang Mai hat Silnorf zusammen mit HEKS einen Recherchebericht veröffentlicht, der gravierende Probleme im Zusammenhang mit einem CO2-Kompensationsprojekt in Sierra Leone aufzeigt. Wie kam es zu dieser Recherche?

Silnorf arbeitet seit bald zehn Jahren in Port Loko. Wir unterstützen die Gemeinschaften, ihr Land in Übereinstimmung mit den rechtlichen Grundlagen für den landwirtschaftlichen Gebrauch zu nutzen und so ihren Lebensunterhalt zu sichern. In vielen Teilen Sierra Leones haben wir in den letzten Jahren beobachtet, wie grosse Unternehmen den Gemeinschaften das Land weggenommen haben. Dies stellt für die lokalen Bäuerinnen und Bauern eine grosse Herausforderung dar, da sie den Zugang zu ihrem Land für die Landwirtschaft verlieren.

Besonders betroffen sind die «Chiefdoms» im Distrikt Port Loko. Bereits vor über zehn Jahren verloren die Menschen ihr Land an Ölpalmenplantagen, klagten dann wegen ausstehender Pachtzahlungen und bekamen ihr Land zurück. Nun sind dieselben Investoren, die damals schon involviert waren, zurückgekehrt und wollen Bäume für CO2-Zertifikate pflanzen. Die Menschen aus diesen Gemeinden haben uns darüber informiert und ihre Besorgnis geäussert. Darauf begannen wir mit unserer Recherche.  

Lansana Hassan Sowa, Programmleiter des Sierra Leone Network for the Right to Food (Silnorf)
HEKS

Was hat die Recherche ergeben?

Die Untersuchung ergab, dass die Zustimmung der Gemeinschaften zur Landnutzung nicht wie gesetzlich vorgeschrieben eingeholt wurde. Das ist gravierend. Den Menschen wurde ihr Land weggenommen, ohne dass sie genau wussten, wofür und für wie lange. Viele Familienmitglieder, vor allem Frauen und junge Leute, haben nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, ihre schriftliche Zustimmung gegeben. Dabei ist das Land sowohl für ihren Lebensunterhalt als auch für ihre Kultur von zentraler Bedeutung.  

Was bedeutet es für diese Menschen, dass Silnorf und HEKS genauer hingeschaut haben?  

In solchen Fällen ist das Machtgefälle zwischen den Gemeinschaften und den Unternehmen enorm. Unser Bericht dokumentiert die Situation und beleuchtet, wie das Land erworben wird und ob es dem Landrecht von Sierra Leone (Customary Land Rights Act) entspricht. Unternehmen, die investieren, müssen sich an die Gesetze des Landes halten. Aber wir stellen nicht nur Fragen. Wir informieren die Menschen auch über ihre Rechte, sensibilisieren sie und suchen gemeinsam mit ihnen nach Lösungen. Der Bericht hilft ihnen, für ihre Rechte einzustehen. Und er lenkt die Aufmerksamkeit der Regierung auf die Auswirkungen solcher Investitionen für die Gemeinschaften. Letztlich entscheiden die Gemeinschaften, was sie mit ihrem Land machen wollen. Wir helfen ihnen nur, die Fakten für ihre Forderungen zu sammeln. Wenn sie es wollen, müssen sie die Möglichkeit haben, ihr Land zurückzubekommen. 

Hat sich die Situation der betroffenen Menschen nach der Publikation des Berichts verändert?

Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung und kurz danach war die Stimmung vor Ort sehr angespannt. Über ein Jahr lang hatten wir zuvor mit Landbesitzern, Regierungsbeamten, traditionellen Autoritäten und den Unternehmen selbst gesprochen. Als wir den beteiligten Unternehmen unsere vorläufigen Ergebnisse präsentierten, erhielt das Rechercheteam einschüchternde Anrufe. Es war offensichtlich, dass einige Akteure die Veröffentlichung des Berichts um jeden Preis verhindern wollten. Durch die Vermittlung der deutschen Botschaft erhielten wir Unterstützung der Polizei, was die Situation vor Ort etwas beruhigte.

Derzeit arbeiten wir weiter mit den Gemeinschaften zusammen. Wir sprechen mit Regierungsvertretern im Distrikt und diskutieren, was die nächsten Schritte sind. Wir müssen auch damit umgehen, dass das Unternehmen weiterhin Gerüchte gegen das Rechercheteam verbreitet. Unser oberstes Ziel bleibt, dass die Landrechte der Menschen respektiert werden. Inzwischen hat «Rewilding», die Firma der Investoren, zugegeben, dass sie nicht über die nötigen Dokumente für die Landnutzung verfügt.

Wie hat Sie HEKS in dieser schwierigen Situation unterstützt?

HEKS ist für uns seit vielen Jahren ein wichtiger Partner, der uns im vorliegenden Fall nicht nur finanziell unterstützt hat, sondern auch bei der Recherche selbst und vor allem bei der sorgfältigen Dokumentation derselben. Zudem hat sich HEKS nebst anderen dafür eingesetzt, dass wir vor Ort geschützt wurden. Der Fall von Port Loko ist auch wichtig, weil er die Diskussion über die Umsetzung der lokalen Gesetzgebung anregt, insbesondere im Hinblick auf den neuen, wachsenden Kohlenstoffmarkt. In Sierra Leone gibt es dazu noch keine Regeln, obwohl bereits zahlreiche Investoren auf den Plan getreten sind. 

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Fokus
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Für die Umsetzung von Klimakompensationsprojekten – zum Beispiel Aufforstung – benötigen Staaten und Unternehmen viel Land. Das hat schwerwiegende Folgen für die Menschen im globalen Süden, die heute auf und von diesem Land leben. HEKS setzt sich ein für einen gerechten Zugang zu Land und faire Lösungen für die Klimakrise.

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