Agir 3/2023 Interview avec Peter Merz

«Wir haben die Pflicht, uns zu positionieren»

Nach 14 Jahren verlässt Peter Merz HEKS Ende Oktober 2023. Seit 2017 hat er die Entwicklung der Organisation als Direktor massgeblich geprägt. Im Gespräch blickt er auf seine Tätigkeit zurück und äussert sich zu aktuellen und kommenden Herausforderungen. 

Interview: Dieter Wüthrich    Fotos: Ester Unterfinger
 

Beginnen wir mit einem etwas gewagten Vergleich: Der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl wurde zu Lebzeiten gerne auch als «Kanzler der deutschen Einheit» bezeichnet. Dürfen wir dich darum als «Direktor der Fusion von HEKS und Brot für alle» ansprechen?

Peter Merz: (lacht) Während meiner sechsjährigen Tätigkeit als HEKS-Direktor ist in Bezug auf unsere organisationale Weiterentwicklung tatsächlich sehr viel passiert. Der Zusammenschluss von HEKS und Brot für alle ist das Ergebnis des grossen Engagements vieler Mitarbeitenden beider Organisationen. Ich war sicher einer von jenen, die diesen Prozess gemeinsam mit dem Stiftungsrat massgeblich vorantreiben konnte. Ich bin überzeugt, dass die Fusion der richtige Schritt war, um sinnvolle und notwendige Synergien zwischen den entwicklungspolitischen Aktivitäten von Brot für alle und der Programmarbeit von HEKS in der Schweiz und weltweit zu schaffen und die Beziehung zu den Kirchen zu vereinfachen. Auch wenn wir intern wie extern verschiedene kritische Stimmen während der Fusion hörten. Ich bin stolz darauf, was wir diesbezüglich erreicht haben, zumal die neue Organisation auch finanziell solid dasteht und wir erfreulicherweise keine Ertragseinbussen haben. 

Kontakt Peter Merz
HEKS

Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) als einer der operativen Schwerpunkte von HEKS steht mehr denn je unter kritischer Beobachtung der Medien, aber auch der breiten Öffentlichkeit. Warum hat sich die öffentliche Wahrnehmung in den fast eineinhalb Jahrzehnten deiner Tätigkeit bei HEKS verändert?

In der internationalen Zusammenarbeit spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Da ist zum einen die eher kurzfristig wirksame humanitäre Hilfe in Konfliktregionen oder nach Naturkatastrophen, zum anderen die auf langfristige Wirkung abzielende Programmarbeit in den Ländern des Globalen Südens. Als drittes Element ist die Entwicklungspolitik zu nennen. Unbestritten auch in der breiten Bevölkerung ist in unserer fragilen Welt die Notwendigkeit der humanitären Hilfe. In den letzten Jahren sicher differenzierter und auch konfrontativer ist hingegen der öffentliche Diskurs zu unserem entwicklungspolitischen Engagement und zur Wirkung der langfristigen Entwicklungszusammenarbeit geworden. Ein Grund dafür ist wohl, dass NGO national und international an Einfluss gewonnen haben; sie können Themen setzen und voranbringen, zum Beispiel Rechtsverletzungen oder die Zerstörung von Lebensgrundlagen, und auch gesellschaftspolitisch vermehrt Einfluss nehmen. Das hat zu einer Polarisierung in der öffentlichen Debatte geführt.

Was bedeutet dies mittel- und langfristig für die Positionierung von HEKS?

Mit der Fusion haben wir entschieden, unsere Programmarbeit mit einem verstärkten entwicklungspolitischen Engagement zu verbinden. Für mich ist dieser Entscheid die Legitimation für HEKS, auf gesellschaftliche, soziale und ökonomische Missstände hinzuweisen. Dank der Verknüpfung von Programmarbeit und Entwicklungspolitik sind wir glaubwürdig in unseren entsprechenden Aussagen. Anlässlich unseres 75-Jahr-Jubiläums vor zwei Jahren haben wir Rückschau auf unsere Geschichte gehalten und festgestellt, dass HEKS das Thema «Menschen auf der Flucht» schon seit den Anfängen intensiv beschäftigt. Dieses Thema und die Hintergründe der weltweiten Migrationsströme sind heute mehr denn je von gesellschafts- und entwicklungspolitscher Relevanz. In unserer Strategie für die Jahre 2023–2027 haben wir als Schwerpunkte «Flucht und Migration», «Klimagerechtigkeit», «Recht auf Land und Nahrung» sowie «Inklusion» definiert; allesamt sehr aktuelle Themen, zu denen wir über die entsprechende Expertise verfügen. Unser Engagement in diesen Bereichen hat zwangsläufig auch immer eine politische Komponente. Damit erfüllen wir im Übrigen auch einen Auftrag unserer Stifterin, der evangelisch-reformierten Kirche.

HEKS ist heute in der Schweiz einer der wichtigsten Akteure in der internationalen Zusammenarbeit und gleichzeitig eine der wenigen Organisationen, die auch im Inland konkrete Programmarbeit leistet.

Wir haben über die veränderte Aussenwahrnehmung unserer Arbeit gesprochen. Verändert hat sich aber auch das Selbstverständnis von Organisationen wie HEKS, die in Programmen im Globalen Süden und in der Schweiz tätig sind. Wie nimmst du diese Veränderung wahr?

Ich habe in den fast 15 Jahren bei HEKS eine stetige Professionalisierung erlebt, sowohl organisational wie auch bei der operationellen Programmarbeit – dies nicht zuletzt als Folge der wachsenden Ansprüche und Erwartungen seitens unserer Auftraggeber wie Bund, Kantone, Gemeinden und internationale Partner. Wir sind heute ein ernstzunehmender Partner auch bei international ausgeschriebenen Mandaten für EZA und humanitäre Hilfe, denn wir sind es gewohnt, in fragilen Kontexten zu arbeiten. HEKS ist heute in der Schweiz einer der wichtigsten Akteure in der internationalen Zusammenarbeit und gleichzeitig eine der wenigen Organisationen, die auch im Inland konkrete Programmarbeit leistet.

Wir leben in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft, in der sich immer weniger Menschen der Institution Kirche verbunden fühlen. Was bedeutet dies für HEKS, das sich ja explizit auf seine kirchlichen Wurzeln bezieht?

Während meiner Zeit bei HEKS habe ich unser Verhältnis zu den Kirchen immer als ein Ringen um Nähe und Distanz erlebt. Wir müssen uns nichts vormachen: Die Mehrheit unserer Mitarbeitenden ist nicht mehr besonders kirchennah, sondern engagiert sich vor allem wegen unserer sinnvollen Projektarbeit. Klar ist indessen: HEKS braucht die Kirche, die Kirche braucht aber auch HEKS. Denn auch wenn wir den grössten Teil unserer Mittel nicht mehr von den Kirchen, sondern von Bund, Kantonen, Gemeinden, internationalen Geldgebern sowie von vielen Privatpersonen erhalten, sind wir doch Ausdruck der kirchlichen Solidarität mit der Welt.

Gerade aus kirchlichen Kreisen wird unser entwicklungspolitisches Engagement, etwa im Zusammenhang mit der Konzernverantwortungsinitiative oder der Klimaklage gegen den Beton-Konzern «Holcim», teilweise heftig kritisiert. Wie gehst du mit dieser Kritik um?

Diese Kritik kam für mich nicht überraschend. Wenn man sich entwicklungspolitisch pointiert äussert, steht man einigen Leuten auf die Füsse und muss Widerspruch aushalten können. Wir haben aber auch sehr viel Zuspruch und positive Rückmeldungen aus kirchlichen Kreisen für unsere klare Positionierung etwa zur Klimagerechtigkeit erhalten. Ich bin überzeugt, dass die Kirche – und damit auch HEKS als kirchliches Hilfswerk – die Aufgabe, ja die Pflicht hat, sich zu wichtigen und letztlich existenziellen gesellschafts- und entwicklungspolitischen Fragen klar zu positionieren.

Was hat dich bewogen, nach über 14 Jahren bei HEKS zu neuen beruflichen Horizonten aufzubrechen?

Mit der Fusion von HEKS und Brot für alle konnten wir einen wichtigen und wegweisenden Schritt der inhaltlichen und organisationalen Weiterentwicklung machen. Die Ende 2022 verabschiedete Strategie 2023–2027 setzt Wegmarken für die kommenden Jahre. Ich meine, dass nun der geeignete Zeitpunkt für eine personelle Erneuerung an der Spitze gekommen ist. Jüngere Kräfte sollen Verantwortung übernehmen. Für mich war es auch ein sehr persönlicher Entscheid, mich in meinen letzten Berufsjahren in einem etwas kleineren und überschaubaren Feld zu engagieren und damit bei HEKS Raum zu schaffen für neue Ideen.

Anmerkung: Karolina Frischkopf wird am 1. März 2024 die operative Leitung von HEKS übernehmen. In der Zwischenzeit verantwortet Vizedirektor Bernard DuPasquier die Leitung ad interim.

Herzlichen Dank für das Interview und Deinen langjährigen engagierten Einsatz für HEKS. Wir wünschen Dir auf auf Deinem weiteren Weg von Herzen alles Gute, beruflich und privat.