Erste Ergebnisse der Untersuchung zur Situation im Rechtsschutz des Bundesasylzentrums Nordwestschweiz (BAZ NWCH)
Die HEKS-Rechtsvertretung im Bundesasylzentrum Nordwestschweiz (BAZ NWCH) war Gegenstand kritischer Medien-Berichterstattung Anfang Juni. Diese bezog sich auf nicht-begleitete Dublin-Gespräche von Asylsuchenden, auf hohe Arbeitsbelastung und Fluktuation der Mitarbeitenden sowie auf Management- und Führungsfehler, welche im Zusammenhang mit diesen Problemen begangen wurden. HEKS hat am 4. Juni eine interne Untersuchung eingeleitet, deren vorläufige Ergebnisse nun vorliegen. Sie basiert auf Interviews mit den Leitungspersonen, einer Umfrage bei allen Mitarbeitenden des Rechtsschutzes BAZ NWCH sowie auf Gruppendiskussionen und statistischen Materialien. Die Ergebnisse der Untersuchung liefern Anstösse zu kurzfristigen Lösungsmassnahmen, aber auch zu längerfristigen Organisationsentwicklungsprozessen.
Starker Anstieg der Fallzahlen und schwierige Rahmenbedingungen
Die untersuchten Probleme stehen im Kontext eines starken Anstiegs der Fallzahlen im Asylbereich, u.a. angesichts des Ukraine-Krieges, seit Mai 2022 sowie der daraus folgenden sehr starken Erhöhung von Konsultationen des Rechtsschutzes mit Klient:innen. Dabei muss festgehalten werden, dass diese Entwicklungen kaum vorhersehbar waren. Damit war eine effektive Planung für den Rechtsschutz äusserst schwierig. Die erforderliche enorme Schwankungstauglichkeit war eine grosse Belastung für die Elastizität der Organisation.
Verschärfend wirkten sich die mangelhaften Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden des Rechtsschutzes aus. So konnten aufgrund der Arbeitsmarktsituation nicht genügend neue Mitarbeitende rekrutiert werden, was die Arbeitsbelastung für das bestehende Team stark erhöhte. Zudem konnten für die neuen Mitarbeitenden nicht ausreichend Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, was das Arbeitsklima weiter belastete. Die hohe Arbeitsbelastung war einer der Gründe für die überdurchschnittlichen Fehlzeiten der Mitarbeitenden und die hohe Fluktuation.
Erschwerend wirkte sich die mehrmalige Änderung der HEKS-internen Gesamtverantwortung für die Rechtsschutzmandate in den Bundesasylzentren aus. Die Kommunikation zwischen der Leitung des HEKS-Rechtsschutzes BAZ NWCH und der HEKS-Zentrale in Zürich sowie eine klare Linie für die Entwicklung einer konsistenten Praxis im Rechtsschutz wurden damit erschwert.
Anpassung der Rechtspraxis und Verfahrensbeschleunigungen
Im August 2022 wurden als Reaktion auf die nicht ausreichenden personellen Ressourcen im Rechtsschutz BAZ NWCH verschiedene Verzichtsmassnahmen beschlossen:
- Massive Reduzierung der Begleitung an Dublin-Gespräche
- Punktuell keine Begleitung an Anhörungen
- Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden (UMA) nicht nur durch spezifisch ausgebildete Mitarbeitende
Im Oktober 2022 wurde HEKS-intern als Sofortmassnahme die Managementstruktur gestärkt. Gleichzeitig erhöhte sich der Druck auf die Mitarbeitenden des Rechtsschutzes noch einmal, da ein sprunghafter Anstieg der Asylgesuche einsetzte.
Die angepasste Praxis im Rechtsschutz aufgrund der von HEKS implementierten Verzichtsmassnahmen führte bei Mitarbeitenden zu Irritationen und Zweifeln an deren Rechtmässigkeit und an deren Übereinstimmung mit den ethischen und politischen Werten von HEKS. Es entstand der Eindruck, dass die Entscheidträger:innen bei HEKS zumindest teilweise die Auftragserfüllung höher gewichtet haben als die Qualität der Rechtsvertretung und die Rechte der Schutzsuchenden.
Interne und externe Abstimmungsprobleme
Gemäss Untersuchungsergebnissen besteht Grund zur Annahme, dass sowohl bei der Leitung Rechtsschutz BAZ NWCH als auch ihren Vorgesetzten die rechtliche Einschätzung der neuen Rahmenbedingungen und die Gewichtung der Ansprüche von intern und extern nicht adäquat waren. Die Kommunikation und die Abstimmung zwischen Leitung Rechtsschutz und ihren Vorgesetzten scheint in dieser sehr entscheidenden Periode für die Entwicklung einer neuen Praxis nicht ausreichend gewesen zu sein.
Der Unterstützungsbedarf für den Rechtsschutz BAZ NWCH wurde in der HEKS-Zentrale zu wenig erkannt. Die Leitung des Rechtsschutzes BAZ NWCH hatte letztlich in Managementfragen, asylrechtlichen Belangen sowie in HR- oder ICT-Fragen zu wenig Unterstützung durch die HEKS-Zentrale. Die daraus resultierende Praxis führte dazu, dass das Vertrauen vieler Mitarbeitender des Rechtsschutzes BAZ NWCH in eine rasche Verbesserung der Arbeitsbedingungen verloren ging.