Medienmitteilung vom 19. Juli 2023

HEKS-Rechtsberatungsstelle erreicht wegweisendes BVGer-Urteil: Papierlose Afghan:innen werden als schriftenlos anerkannt

Das Bundesverwaltungsgericht hat in diesen Tagen ein wegweisendes Urteil gefällt: In der Schweiz lebende afghanische Staatsangehörige ohne heimatliche Reisedokumente werden als schriftenlose Ausländer:innen anerkannt. Als solche können sie bei den Schweizer Behörden einen Reisepass beantragen – und endlich wieder Familienangehörige im Ausland besuchen. Das Urteil fusst auf einer Beschwerde, die die HEKS-Rechtsberatungsstelle für Asylsuchende in Basel eingereicht hatte.

Wegen der aktuellen politischen Lage in Afghanistan haben zahlreiche in der Schweiz lebende afghanische Staatsbürger:innen keine Möglichkeit, einen Reisepass zu beschaffen. Die betroffenen Afghan:innen – die meisten von ihnen leben schon lange in der Schweiz – können die Schweiz daher seit beinahe zwei Jahren nicht mehr verlassen. Sie können weder Verwandte und Freund:innen im Ausland besuchen, noch eine Studien- oder Geschäftsreise ausserhalb der Schweiz unternehmen. Das soziale Leben der Betroffenen ist dadurch stark eingeschränkt; insbesondere die Unmöglichkeit, Familienangehörige besuchen zu können, belastet viele von ihnen psychisch enorm.
HEKS-Rechtsberatungsstelle erreicht wegweisendes BVGer-Urteil: Papierlose Afghan:innen werden als schriftenlos anerkannt
Yves Leresche
So erging es auch dem Afghanen, auf dessen Beschwerde sich das vorliegende Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes (BVGer) bezieht. Er beantragte im März 2022 beim kantonalen Migrationsamt die Ausstellung eines Reisepasses für ausländische Personen. Die Migrationsämter können schriftenlosen Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung einen solchen Pass ausstellen. Als schriftenlos gelten Ausländer:innen, die über kein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates verfügen und für die es entweder nicht zumutbar ist, sich bei den zuständigen Behörden ihres Heimatstaates um die Ausstellung von Reisedokumenten zu bemühen, oder für die die Beschaffung von Reisedokumenten unmöglich ist. 
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) wies das Gesuch des Beschwerdeführers jedoch ab. Der Beschwerdeführer gelte nicht als schriftenlos. Auch wenn die politische Lage in Afghanistan eine Passausstellung kurzfristig nicht zulasse, sei noch nicht erwiesen, dass dies auch künftig nicht möglich wäre. So die Begründung des SEM. 
 

Beschwerde gutgeheissen

Gegen diesen Entscheid erhob der betroffene Afghane mit Unterstützung einer HEKS-Juristin der BAS-Beratungsstelle für Asylsuchende der Region Basel Beschwerde beim BVGer. Nach eingehender Analyse der aktuellen Situation in Afghanistan hiess das BVGer nun im Juli 2023 die Beschwerde gut und urteilte, dass der Beschwerdeführer als schriftenlos gilt. In seinem Entscheid führt das BVGer aus, dass afghanischen Staatsangehörigen in der Schweiz zum einen nicht zugemutet werden könne, zur Beschaffung eines Reisepasses nach Afghanistan zu reisen. Andererseits sei die Ausstellung von neuen Reisepässen weder in der Schweiz noch in anderen europäischen Ländern möglich und es sei angesichts der politischen Entwicklung in Afghanistan nicht absehbar, wann Reisedokumente wieder erhältlich sein würden. Die Beschaffung von afghanischen Reisedokumenten sei deshalb für in der Schweiz wohnhafte afghanische Staatsangehörige aktuell als unmöglich einzustufen.

Urteil schafft Klarheit

HEKS freut sich über dieses wegweisende Urteil. Bisher bestand ein grosser Widerspruch zwischen der Haltung der offiziellen Schweiz, welche die Taliban-Regierung nicht anerkennt, und der Praxis des SEM, das von Afghan:innen weiterhin die Beschaffung heimatlicher Papiere bei ebendieser Regierung verlangte. Zumindest in der Frage der Reisepapiere schafft das BVGer-Urteil nun Klarheit: Alle papierlosen Afghan:innen in der Schweiz gelten gemäss Urteil als schriftenlos. Nicht nur der Beschwerdeführer, auch andere Afghan:innen, können künftig bei den Schweizer Behörden ein Reisedokument beantragen – und endlich wieder reisen. 

 

Zur Medienmitteilung des BVGer

Dieter Wüthrich
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