Mit der Kerze der Hoffnung in der Hand durch den Sturm
Wir leben in einer unruhigen, beängstigenden Zeit. Dieses Gefühl wird durch die Statistik bestätigt. Das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) weist für das Jahr 2022 weltweit 363 Konflikte nach, 216 von ihnen wurden mit Waffengewalt ausgetragen. 21 waren gemäss gängiger Definition eigentliche Kriege. Von den meisten Kriegsschauplätzen erfahren wir allerdings kaum etwas aus den Medien. Dementsprechend wenig wissen wir über die Hintergründe dieser Konflikte und deren oft verheerenden Folgen für die betroffene Zivilbevölkerung. Andere Konflikte wiederum sorgen für Dauerschlagzeilen – entweder, weil sie in Europa und damit gleichsam bedrohlich nah vor unserer eigenen Haustüre ausgetragen werden (Ukraine); oder weil sie uns aus einem spezifischen historischen Kontext heraus emotional besonders bewegen (Israel/Palästina). Hier wie dort könnten uns menschliche Grausamkeit und Ignoranz sprach- und vor allem hoffnungslos machen.
Der israelische Schriftsteller und Friedensaktivist David Grossmann beschreibt sinngemäss sehr gut das Gefühl, das auch mich hin und wieder umtreibt, wenn ich in meiner Arbeit als HEKS-Direktor mit den Bildern und Berichten von konfliktbedingter Not und Elend in unseren Projektländern konfrontiert bin: «Der Versuch, mitten im Krieg an der Hoffnung festzuhalten, erscheint mir wie das Vorhaben, mit der Kerze in der Hand durch einen gewaltigen Sturm zu gehen.»
Es gibt zum Glück aber auch genug jener Momente, in denen ich es eher mit den Worten der 2014 verstorbenen südafrikanischen Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer halte. Diese bekannte einst scheinbar trotzig: «Ich weigere mich, ohne Hoffnung zu sein.» Gordimers Bekenntnis gründete auf ihren eigenen Erfahrungen im Widerstand gegen das brutale südafrikanische Apartheits-Regime. Dessen weitgehend gewaltlos herbeigeführtes Ende zu Beginn der 1990er-Jahre war nur möglich geworden, weil Menschen wie Nelson und Winnie Mandela oder Bischof Desmond Tutu auch in den dunkelsten Zeiten gewalttätiger, rassistisch motivierter Unterdrückung und trotz Jahrzehnte währender Kerkerhaft und Folter die Hoffnung auf Frieden und Versöhnung nie aufgaben.
Es gibt viele weitere Beispiele in der Menschheitsgeschichte, in denen sich Mut, Standhaftigkeit und Beharrlichkeit gegenüber Gleichgültigkeit oder Resignation durchzusetzen vermochten. Und zum Ende der Gewalt und – in manchen Fällen – sogar zu einem dauerhaften Frieden zwischen einst scheinbar unversöhnlichen Feinden führten. Dies sollte auch für uns Anlass zu berechtigter Hoffnung sein, dass unsere Vision von einer friedlicheren und gerechteren Welt keine Illusion bleiben muss, sondern dereinst gelebte Zukunft sein kann. Zweifellos, der Weg dorthin ist furchtbar steinig und es wird immer wieder Rückschläge – kleinere und grosse – geben. Frieden und Gewaltlosigkeit sind nicht umsonst zu haben.
Wir bei HEKS stellen unser Engagement für Frieden und Gerechtigkeit ganz bewusst unter den Leitsatz «Im Kleinen Grosses bewirken». In unseren Programmen und Projekten setzen wir darauf, in kleinen Schritten und in einem überschaubaren Umfeld ganz gezielt auf eine Verbesserung der Lebensumstände der Menschen hinzuwirken. Dies gelingt auch uns nicht immer, aber doch oft und messbar mit Erfolg. Und es sind diese positiven Erfahrungen und die Lehren aus Misserfolgen, die uns, unsere Partnerorganisationen und die Menschen in unseren Projekten antreiben und motivieren, den eingeschlagenen Weg allen Rückschlägen zum Trotz weiterzugehen. Und je mehr Menschen sich im Laufe der Zeit mit uns auf diesen Weg machen, desto weitreichender, wirkungsvoller und letztlich auch schneller lässt sich ein positiver und nachhaltiger Wandel herbeiführen – hin zu einem Leben in Würde, Frieden und Gerechtigkeit für alle Menschen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen ein glückliches, friedvolles Jahr 2024 und danke Ihnen für ihre ebenso wertvolle wie wichtige Unterstützung.
Bernard DuPasquier, Direktor a.i.