Wenn eine Anzeige für das Opfer zum Risiko wird
Opfer häuslicher und sexueller Gewalt trifft es im Speziellen.
Die Opfer geraten in einen Clinch, ob sie Anzeige erstatten und versuchen sollen, sich zu verteidigen oder davon abzusehen. Allerdings kann − unabhängig von ihrer eigenen Entscheidung – ein Verfahren gegen sie eingeleitet werden. Zum Beispiel, wenn nahestehende Personen oder jemand vom Haus nebenan Meldung erstatten und die Polizei daraufhin ermittelt. In beiden Fällen ändert sich die Sachlage nicht. Behördenmitarbeitende und Personen im Beamtenstatuts sind dazu verpflichtet, alle Vergehen und Straftaten anzuzeigen, von denen sie im Rahmen ihrer Amtsausübung Kenntnis erlangen. Dazu gehört auch der illegale Aufenthalt. Und genau dort liegt das Problem.
Die Bedenken, sich an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden, sind begründet.
Dass Personen ohne geregelten Aufenthaltsstaus Angst haben, sich an die Strafverfolgungsbehörden zu wenden, ist legitim. Tatsächlich geht beim Einreichen einer Strafanzeige fast immer auch eine Anzeige und Verurteilung aufgrund des illegalen Aufenthalts einher. Die Opfer sind gezwungen, bei den zuständigen Behörden um ein Gesuch für die Regulierung ihres Status zu stellen. Dieses wird in den meisten Fällen abgelehnt. Daraufhin folgt ein Ausschaffungsentscheid, selbst bei laufendem Strafverfahren. Das ist leider die Realität vieler Frauen, die sich ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhalten und Opfer von häuslicher oder sexueller Gewalt geworden sind. Obwohl sie von Unterstützungsnetzwerken betreut werden und das Opferhilfegesetz beanspruchen können, erhalten sie in den meisten Fällen keinen sicheren Aufenthaltsstatus. Denn sie erfüllen die Kriterien für die Legalisierung nicht.
Die Strafanzeige ist systematisch von der Prüfung des fehlenden Aufenthaltsstatus zu trennen.