Blog Lunchkino 2024: Auf der Suche nach Frieden
HEKS
Blogbeitrag von Corina Bosshard vom 05.08.2024

Auf der Suche nach Frieden

Auf der Suche nach Frieden

HEKS erweitert seine Nothilfe in der Ukraine seit kurzem durch einen neuen Arbeitsansatz, bei dem die betroffenen Menschen ihre eigenen Kleinprojekte entwickeln und umsetzen: die «Survivor and Community-led Response» (SCLR). Im März reisten wir nach Rumänien und in die Ukraine, um für den HEKS-Film verschiedene dieser Selbsthilfeinitiativen zu dokumentieren. Besonders berührten uns dabei die Geschichten der Menschen hinter den SCLR-Initiativen: Menschen, die innerlich und äusserlich nach Frieden suchen.  

Während des Interviews mit Olena Shevchenko fliessen Tränen. Wir müssen eine Pause einlegen. Es soll nicht das einzige Interview bleiben, dass uns auf dieser Drehreise emotional berührt, ja mitnimmt. Wir wollten Projekte dokumentieren, und wir haben Menschen getroffen. Vor allem Frauen. Frauen, die vor dem Krieg mit ihren Familien in Kiew oder Cherson lebten, arbeiteten, studierten. Frauen, die dachten, dass Krieg in ihrem Land nie möglich sein könnte. Frauen, die eines Tages in ihrer Wohnung standen und sich fragten, was man denn eigentlich einpackt, wenn man flüchtet. Frauen, die Träume hatten, doch heute nicht mehr die Zukunft planen, weil sie die schreckliche Erfahrung machten, dass sich alles von einem Moment auf den anderen ändern kann.
Corina Bosshard, Kampagnenkoordinatorin
Corina Bosshard

Corina Bosshard ist Kampagnenkoordinatorin bei HEKS und hat den Filmdreh organisiert, koordiniert und auch begleitet.

Der Krieg ist eine Erfahrung, die dein Innerstes erschüttert…

Auch Olena ist vor zwei Jahren allein mit ihrer Tochter nach Cluj-Napoca in Rumänien geflohen. Viele ukrainische Frauen müssen den Alltag mit ihren Kindern allein meistern, weil ihre Männer an der Front sind. Anfangs dachten sie, sie würden für zwei, drei Wochen bleiben und dann zurückkehren. Jetzt, nach zwei Jahren, begreifen sie, dass sie die Situation akzeptieren müssen, dass sie Arbeit finden und ihre Kinder einschulen müssen. Doch es ist schwierig, einen Platz in einer rumänischen Kindertagesstätte zu finden und zudem verstehen die Kinder ja kaum Rumänisch und ertragen es nur schwer, in der fremden Umgebung von ihren Müttern getrennt zu sein. 

Be brave! Sei tapfer! 

Olena, die in Kiew Wirtschaft studiert und danach im Projektmanagement gearbeitet hat, hatte deshalb die Idee, den «Be Brave Kids Club» zu gründen: eine Tagestätte für ukrainische Kinder, wo Ukrainisch gesprochen wird und wo sie langsam auf den Kindergarten in Rumänien vorbereitet werden. Die Mütter können die Zeit nutzen, um einen rumänischen Sprachkurs zu besuchen oder zur Arbeit zu gehen. Es sei ein Bedürfnis der Eltern gewesen, das sie, selbst eine alleinerziehende Mutter, erkannt habe. Olenas Kindertagesstätte ist eine der Klein-Initiativen, die von HEKS Rumänien im Rahmen des SCLR-Programms derzeit unterstützt werden. Man sieht, dass Olena selbst Kraft daraus schöpft, sich auf diese Weise für ihre Gemeinschaft engagieren zu können. «Ich tue es nicht nur für mich. Ich weiss: Ich tue es für jemanden», erzählt sie uns im Interview.  

Filling in the gaps

Wir merken schnell, dass der SCLR-Ansatz interessant ist, weil die vielfältigen kleinen Selbsthilfeinitiativen Lücken schliessen, die HEKS selbst eventuell gar nicht wahrgenommen hätte. So unterschiedlich wie die Bedürfnisse der Menschen sind, so unterschiedlich sind auch diese kleinen Initiativen. Während es in Rumänien vor allem um soziale Aktivitäten für Kinder und Jugendliche oder um Integrationsprojekte geht, sieht es in Transkarpatien ganz anders aus.

Die ländlich geprägte Region im äussersten Südwesten der Ukraine gehörte schon vor dem Krieg zu den ärmsten Oblasten des Landes. Nach Kriegsbeginn hatten Hunderttausende Menschen aus dem Osten hier Zuflucht gesucht. Mehr als zwei Jahre später leben immer noch rund 370’000 Binnenvertriebene in Transkarpatien und warten auf ein Ende des Krieges, um in ihre Heimatregionen zurückkehren zu können. Manche haben nichts mehr, wohin es sich zurückzukehren lohnt. Zudem haben viele junge Menschen Transkarpatien verlassen, Männer im wehrfähigen Alter wurden eingezogen. Zurück bleiben ältere Menschen, alleinerziehende Frauen oder Menschen in anderen schwierigen Lebenssituationen.

Bei den Selbsthilfeinitiativen, die wir in Transkarpatien besuchen konnten, geht es denn auch viel stärker um die Deckung der Grundbedürfnisse, aber auch um die gegenseitige Unterstützung: Gyula Szabó von der reformierten Kirchgemeinde Dertsen verteilt täglich warme Mahlzeiten an Menschen in Not in seinem Dorf. Oder Eva Izhak, eine Schuldirektorin, kann dank dem SCLR-Programm eine Hilfslieferung für intern vertriebene Menschen organisieren, die nun schon seit zwei Jahren in einem ehemaligen Schulgebäude untergebracht sind.

Don’t close your eyes

sagt uns Kseniia Karandashova, eine andere Protagonistin, im Interview. Sie wisse, dass wir die Nachrichten aus der Ukraine bald nicht mehr hören können. Und sie hat natürlich recht: Man stumpft ab, denkt manchmal «Schon wieder die Ukraine». Doch wenn man in diesem Land ist, mit den Menschen spricht, die so viel verloren und zurückgelassen haben und die auf ein Ende des Krieges warten, wird dieser Konflikt wieder äusserst aktuell.  

Danke, dass auch Sie weiter hinschauen. Ich freue mich darauf, Sie an einem Lunchkino zu begrüssen und Ihnen im Film Olena, Gyula, Eva, Kseniia und noch einige starke Menschen mehr vorstellen zu dürfen.

Lunchkino 2024

Mehr über die Selbsthilfeinitiativen in Rumänien und der Ukraine, die von Menschen, die vom Krieg betroffen sind, entwickelt und umgesetzt werden, erfahren Sie im neuen HEKS-Film «Don’t close your eyes - Gemeinsam Frieden finden».

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