Femmes aux champs au Congo
Thomas Freteur
Blogbeitrag von Kibrom Mehari Gebremichael vom 10.10.2023

Die Falle der industriellen Landwirtschaft in Afrika

Die Falle der industriellen Landwirtschaft in Afrika

Anlässlich des Welternährungstages bin ich dieses Jahr zu einer Konferenz in Genf eingeladen. Mit zwei weiteren afrikanischen Kollegen werden wir uns über die Erfahrungen unserer jeweiligen Länder im Bereich Ernährungssicherheit und Anpassung an den Klimawandel austauschen. Da die ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen zwischen unseren drei Ländern (Ruanda, Burkina-Faso und Eritrea) sehr unterschiedlich sind, sollten wir auch von sehr unterschiedlichen Landwirtschaftsmodellen und Erfahrungen ausgehen.

In der Vorbereitung zur Konferenz präsentierte einer der Redner die Strategie seines Landes, die Landwirtschaft «zu mechanisieren und zu transformieren». Mit Hilfe von Kunstdünger, Hybridsaatgut und Digitalisierung soll «die afrikanische Landwirtschaft ins 21. Jahrhundert gebracht werden». Dieses Modell der industriellen Landwirtschaft in Afrika war auch mein grösster Ansporn, als ich vor 15 Jahren in meinem Land Eritrea  am nationalen Landwirtschaftsplan arbeitete. 

Ich erinnere mich, dass wir bei der Ausarbeitung unseres ersten «Nationalen Fünfjahres-Entwicklungsplans» davon überzeugt waren, dass wir unsere traditionelle Landwirtschaft in eine industrielle Landwirtschaft umwandeln müssten. Unser Plan beinhaltete Berechnungen, wie viele neue Traktoren, wie viele Liter Benzin, wie viel Kunstdünger, Pestizide und Hybridsaatgut pro Hektar benötigt würden, um eine industrielle Produktion zu erreichen. 

Kibrom Mehari Gebremichael
Kibrom Mehari Gebremichael

Kibrom Mehari Gebremichael arbeitet bei HEKS als Themenverantwortlicher für das Recht auf Nahrung.
 

Warum ernten wir nicht einmal zehn Tonnen Kartoffeln pro Hektar, während die Deutschen über 220 Tonnen ernten?

Wir berechneten den Ertrag pro Hektar und sogar, wie viele Kalorien pro Kopf zur Verfügung stehen würden. Mein Chef fragte mich damals oft: "Warum ernten wir nicht einmal zehn Tonnen Kartoffeln pro Hektar, während die Deutschen über 220 Tonnen ernten?» Wir wollten uns schnell und um jeden Preis selbst ernähren können, um wirklich unabhängig zu werden.  

Mit dieser Einstellung und Motivation kam ich in die Schweiz, um eine höhere Ausbildung zu absolvieren, die es mir ermöglichen würde, meine Ziele in Eritrea erreichen. Ich wollte nicht nur lernen, was die anderen europäischen Länder machen, sondern auch, wie wir ihre Methoden in unserem Land anwenden können.

Ich habe gesehen, dass dieser Ansatz auf meinem Kontinent, der immer noch Schwierigkeiten hat, seine Bevölkerung zu ernähren, nicht funktioniert.

Dreizehn Jahre später verfolge ich immer noch dasselbe Ziel, die Selbstversorgung, aber ich habe mich von diesem trügerischen Bild der industriellen Landwirtschaft abgewandt. Denn im Laufe der Jahre habe ich gesehen, dass dieser Ansatz auf meinem Kontinent, der immer noch Schwierigkeiten hat, seine Bevölkerung zu ernähren, nicht funktioniert. Was nicht funktioniert, ist die Förderung der industriellen Landwirtschaft für die internationalen Märkte auf Kosten der Kleinbauern und -bäuerinnen, die 80 Prozent der afrikanischen Produzent:innen ausmachen. Obwohl sie den grössten Teil des Kontinents ernähren, werden sie von der öffentlichen Politik nicht unterstützt. Laut einem Bericht der Afrikanischen Union sind nur zwei Mitgliedsstaaten (Ägypten und die Seychellen) auf dem Weg, das Ziel zu erreichen, dass diese Bäuerinnen und Bauern bis 2021 Zugang zu Finanzierung und Unterstützung haben.

Eine echte Ernährungssicherheit muss Kleinbäuerinnen und Kleinbauern unterstützen

Schlimmer noch, sie werden oft von ihrem Land vertrieben, um Platz für Grossinvestoren zu schaffen, und sind gezwungen, ihr traditionelles Saatgut und Wissen aufzugeben. Dadurch werden sie abhängiger und verwundbarer, wie wir während der COVID-19-Pandemie und später während des Krieges in der Ukraine gesehen haben. Diese Praktiken haben auch zur Verschlechterung der Böden in Afrika beigetragen und die Verwundbarkeit der Bevölkerung gegenüber dem Klimawandel und den internationalen Märkten erhöht. 

Eine echte Ernährungssicherheit muss Kleinbäuerinnen und Kleinbauen unterstützen, auf ihr Potenzial setzen, auf ihr Wissen, ihr Saatgut und ihre Landrechte. Zudem muss sie auf öffentlicher Forschung und Entwicklung basieren, die angepasste Maschinen und Technologien entwickelt. Angepasst an  ihre Bedürfnisse, die Grösse ihrer Felder und ihre Umwelt.

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