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Blogbeitrag von Silva Lieberherr vom 23.11.2023

Landgrabbing: oft illegal, immer ungerecht

Wenn Land Gewinn verspricht, wird Gerechtigkeit mit Füssen getreten

Der Handel mit Klimazertifikaten gewinnt international an Bedeutung. Manche sehen darin eine Chance. Mir bereitet es Sorgen. Denn solche Klimakompensationsprojekte brauchen viel Land und plötzlich wächst die Nachfrage. Land verspricht Gewinn. Zu oft führt das dazu, dass Investoren den Menschen das Land wegnehmen, auf dem sie bisher Landwirtschaft betrieben haben. Die Mechanismen gleichen sich – egal ob für Palmöl, Kautschuk oder Kohlenstoff. Landgrabbing ist nicht immer illegal, aber immer ungerecht.

Wenn Landrechte nicht klar geregelt und festgeschrieben sind, dann ist es ein Leichtes, Menschen Land wegzunehmen. Aber auch wenn ein Stück Land einmal eingezäunt ist und klar ist, wer Besitzer:in ist, ist Landgrabbing nicht zwingend schwieriger. Sobald Land käuflich ist, finden sich Wege, es sich im grossen Stil anzueignen. Vor allem dann, wenn die Landbesitzer:innen und -nutzer:innen kaum Alternativen haben – und wenn die Regierungen im globalen Süden durch jahrelange koloniale Ausbeutung und neoliberalen Zwang geschwächt wurden.
Portrait Silva Lieberherr
Silva Lieberherr

Silva Lieberherr ist bei HEKS für das Thema Landgrabbing verantwortlich. 
 

Die Muster sind oft ähnlich, egal, ob das Land für den Handel mit Palmöl, Zuckerrohr oder eben Klimazertifikaten gebraucht wird.

Wie solche Land-Deals ablaufen können, möchte ich an einem Beispiel von Zuckerrohrplantagen zeigen. Denn auch wenn Klimakompensationsprojekte als Treiber von Landgrabbing neu sind: das Vorgehen der Unternehmen ist es nicht. Die Muster sind oft ähnlich, egal, ob das Land für den Handel mit Palmöl, Zuckerrohr oder eben Klimazertifikaten gebraucht wird. Im erwähnten Fall geht es um einen Genfer Milliardär. Er wollte 2010 in Sierra Leone Zuckerrohr anbauen, um daraus Agrotreibstoff nach Europa zu exportieren. Sein Projekt, mittlerweile bankrott und verkauft, galt bei Investor:innen oder Entwicklungsbanken als Vorzeigeprojekt für nachhaltige und soziale Entwicklung.

Was geschah: Der Milliardär kannte den damaligen Präsidenten von Sierra Leone aus früheren Geschäften. Die beiden unterzeichneten eine Absichtserklärung, ein sogenanntes «Memorandum of Understanding», um das Projekt zu realisieren. Für die Sierra Leoner:innen war das Projekt also von Anfang an «das Baby des Präsidenten» - was viel bedeutet. 
 

Das Land, dessen muss man sich bewusst sein, ist die Lebensgrundlage der Menschen.

Das Unternehmen wandte sich anschliessend an die «Paramount Chiefs» der Region, in der es das Land pachten wollte. Die Chiefs sind traditionelle Autoritäten und die Hüter des Landes. Sie bilden eine Art Parallelstruktur zum Staat und entscheiden über das Land. Doch so traditionell ist dieser Prozess eigentlich nicht. Vor der Kolonialzeit war Land grundsätzlich nicht verkäuflich, sondern wurde gemeinschaftlich genutzt. Das störte die britischen Kolonialherren. Denn sie wollten sich das Land aneignen. Deshalb gaben sie den Chiefs die Macht, Land zu verpachten. Chiefs, die sich dieser Neuerung widersetzten, wurden abgesetzt. Heute kann in Sierra Leone Land also verpachtet werden, und die Unternehmen aus dem globalen Norden profitieren davon.

Im Gegenzug für ihr Land versprach das Unternehmen des Milliardärs den lokalen Gemeinschaften Spitäler, Schulen und Arbeit. Vage und grosse Versprechungen sind bei grossflächigen Landnahmen bis heute üblich. Nachdem die Chiefs dem Deal zugestimmt hatten, ging die Genfer Firma mit ihrer Unterstützung auf die landbesitzenden Familien zu – ein immenses Machtgefälle. Die meisten willigten ein, ihr Land zu verpachten. Voller Hoffnung auf die versprochene Entwicklung. Oder unter Druck.

Anschliessend wurde das Land von der Firma aufwändig vermessen und die bestehenden Bäume wurden gezählt, damit sie vergütet werden konnten. Diese Vermessungen führen häufig zu Unzufriedenheit bei den landbesitzenden Familien. Sie können oft nicht nachvollziehen, warum und wo die Grenzen gezogen werden und es besteht der Verdacht, dass zu wenig Bäume gezählt werden. Die Verhandlungen über die Bezahlung der Bäume und den Pachtpreis verlaufen selten zugunsten der lokalen Bevölkerung. 

Die Plantagen standen vorerst still, und das Land war verloren.

Im Fall der Zuckerrohrplantage waren die Landbesitzer:innen gar nicht in den Deal involviert: Die Firma verhandelte direkt mit der Regierung und die Besitzer:innen erhielten in der Folge nur die Hälfte des Pachtpreises. Die andere Hälfte ging an die Paramount Chiefs, die Distrikt- und die Zentralregierung. Der Pachtpreis ist ohnehin selten hoch genug, um das verlorene Land zu ersetzen (wenn er denn überhaupt gezahlt wird). Schliesslich ist es mit einer einmaligen Zahlung nicht getan. Das Land, dessen muss man sich bewusst sein, ist die Lebensgrundlage der Menschen und bietet ihnen trotz schwieriger Lebensbedingungen und Armut Jahr für Jahr ein Auskommen. Mit dem Verlust des Landes verlieren sie die Möglichkeit, Nahrung anzubauen, den Zugang zu Holz als Baumaterial, ihre Heilpflanzen und ihr Wasser. Hinzu kommt, dass auf diese Weise ganze Regionen von einem einzigen Produkt - in diesem Fall dem Zuckerrohr - abhängig werden, was ein grosses Risiko darstellt. Die Firma ging bankrott. Die Plantagen standen vorerst still, und das Land war verloren. Schliesslich übernahm eine neue Firma die Plantagen. Von den Nachhaltigkeitsversprechen ihrer Vorgängerin wollte sie nichts mehr wissen. Nachhaltige Entwicklung sieht anders aus.

 

 

Kediatu Kamara und Abu Bakar Bangura aus Port Loko, Sierra Leone, verloren ihr Land an eine Palmölfirma. Es handelt sich um einen anderen Fall als das im Text geschilderte Beispiel, aber wie gesagt: grossflächige Land-Grabs laufen überall ähnlich ab.

 

Landrecht ist immer vielschichtig und kompliziert. Aber letztlich geht es um Gerechtigkeit! Deshalb unterstützt HEKS lokale Gemeinschaften, die sich gegen Langrabbing wehren, unabhängig davon, ob das Land für Palmöl, Schnittblumen oder nun neu für Klimakompensationsprojekte genutzt werden soll. Und das funktioniert: Manchmal können die Firmen dazu gebracht werden, ihre Versprechen zumindest teilweise einzuhalten, und manchmal können die Menschen ihr Land behalten.

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